Guten Morgen

Nein, nicht wirklich. Es ist ein leerer Scheißmorgen, und Fassungslosigkeit ziert mein Gesicht. So sitze ich hier allein gelassen, langsam dämmert der Morgen herauf, und ich versuche zu verstehen.

Ich hab mir all deine Geschichten angehört und es hat mich echt betroffen gemacht, damals. Ich weiß nicht, wie viel ich dir davon noch glauben kann, jetzt, nach dem du weg bist. Ich sitze hier am Tisch, deine Tasse mit dem umgekipptem Becher Kaffee vor mir, und irgendwie kommt mir alles, was du erzählt hast wie kalter Kaffee vor. Wie dieser kalte Kaffee da, der langsam von der Tischkante tropft.

Was für ein Morgen! Ich hab dir alles gegeben. Hab dir ein Leben gezeigt, das du so vorher nicht kanntest. Du konntest das erste Mal in deinem Leben fühlen, was Liebe wirklich ist - das waren deine Worte. Aber irgendwie scheine ich selbst nicht zu wissen, was das ist … es ist hart, getäuscht zu werden. Dabei warst du heute Nacht noch ganz bei mir. Wie einen Gefühle täuschen können, … wie sich die Dinge ändern?

Nein, meine Gefühle täuschen sich nicht, … du hast mich getäuscht! Enttäuscht, oder es war dieses “Blind vor Liebe” Ding? War ich es letztlich selber, die nicht sehen wollte? Wahrscheinlich. “Nie wieder” murmele ich leise in meine Tasse mit heißem dampfenden Tee, “nie wieder” …Wie ein Mantra kommt es über meine Lippen, und ich weiß genau, das ich es doch wieder tun werde.

Dabei hast du gesagt, du gehst zu ihr zurück, weil du sie liebst. Gerade 5 Minuten ist es her, dass du stumm und endgültig durch diese Türe gegangen bist. Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll, was du mir über sie erzählt hast, all die letzten Monate. All diese Geschichten. Ich weiß es nicht. War die Verzweiflung in deiner Stimme echt? Waren deine Tränen echt? Das sie dich schlägt und demütigt, wo es nur geht, hast du gesagt. Das sie dich wie ein Stück Scheiße behandelt. Das du einfach fort wolltest von ihr. Was zieht dich jetzt zurück zu ihr? Bist du Masochist? Ist dir normale Liebe zu langweilig?

Ich starre die Tasse an. Bin fassungslos, wütend … über dich, aber noch mehr über mich. Das ich mich wieder eingelassen habe. Komme mir missbraucht vor. Ja, missbraucht! So missbraucht, wie sie dich missbraucht für ihren Egotrip. Du hast meine Liebe missbraucht, mein Vertrauen, mein Helfersyndrom.Wahrscheinlich war alles Lüge, hast mich nur eingelullt, um eine willige Mätresse zu haben. Du hast mich durchschaut und benutzt, um das Beste aus zwei Welten zu erhalten. Aber ich weiß nicht, ob du mich angelogen hast. Ich weiß es nicht. Ich durchschaue dein Spiel nicht.

Ich weiß gerade nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Ich konzentriere mich auf deine Tasse am anderen Ende des Tisches. Vielleicht schafft es meine Wut, sie in tausend Stücke zu sprengen oder den Kaffee wieder zum Kochen zu bringen. Mir ist nach Voodoo. Ich wünschte das die Macht, die mich durchdringt mit mir wäre. Ein leichtes, unmerkliches Grinsen zeichnet sich in meinem Gesicht ab, wenn ich mir vorstelle, was ich damit jetzt anstellen würde.

Ist ein schöner Morgen heute irgendwie. Die Sonne strahlt durchs Fenster herein, und draußen zwitschern die Vögel rum, als ob es nix Besseres auf der Welt zu tun gäbe. Die Scheiben könnten mal wieder geputzt werden, aber sie brechen das Licht so schön, fast romantisch könnte man meinen. Sie machen so etwas Gewöhnliches zu etwas Ungewöhnlichem, Spannendem, Einmaligen. Vielleicht ist das ein Zeichen? Vielleicht muss nicht immer klarer Durchblick herrschen? Vielleicht darf ich mir auch an den Vögeln ein Beispiel nehmen. Da werde ich heute mal drüber nachdenken. Ich atme einmal auffallend tief durch und dann mache mich auf den Weg, dem neuen Tag zu begegnen …


Entstanden Anfang der 2010er Jahre.